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Pomologe Josef Wittmann

Die Blutbirne — alte Frucht neu entdeckt

Älter Herr mit Hut hinter einem Birnbaumzweig
Pomologe Josef Wittmann
© Josef Wittmann

Nach einer Legende kam die Blutbirne mit den Kreuzrittern aus dem Heiligen Land nach Europa. Die Adligen fanden offenbar Geschmack und Gefallen an der rotfleischigen Birne, die auf vielen Rittergütern kultiviert wurde, zudem galt der Anbau unter den Rittersleuten als Statussymbol. Belegt ist das nicht, aber zumindest eine schöne Geschichte, findet der Pomologe Josef Wittmann aus Beratzhausen in der Oberpfalz. Nach seinen Recherchen wird die Blutbirne in Deutschland erstmals schriftlich im Fürstlichen Braunschweiger Baumschulkatalog 1607 erwähnt und in einer anderen Schrift um 1685 zum Anbau empfohlen. Die Frucht dürfte in unseren Breiten aber wesentlicher früher kultiviert worden sein, vermutet Josef Wittmann.

Zur Pomologie kam der OP-Pfleger im Ruhestand durch sein Interesse für Gartenbau und Streuobst. Ein Hobby, das inzwischen zur Passion wurde. In seinem Beruf habe er zwar viel Blut gesehen, das habe aber nichts mit der Blutbirne zu tun, schmunzelt der 63-Jährige. Auf einer Ausstellung vor zehn Jahren habe er die rotfleischige Birne das erste Mal entdeckt und sofort Gefallen daran gefunden. Besonders auch deshalb, weil es sich um eine sehr alte Sorte mit guten Eigenschaften handelt. Und gerade die Vielfalt alter Sorten liegen dem Oberpfälzer am Herzen. Über die Jahre hat er sich europaweit nicht nur Reiser der Blutbirne organisiert, sondern auch ein umfassendes Wissen über alte Birnensorten angeeignet. Das hat ihn in Fachkreisen über die Bezirksgrenze hinaus bekannt gemacht. Seine pomologischen Kenntnisse und die Pflege von Wirtschaftsbirnen gibt er in Seminaren an Interessierte nicht nur aus Bayern weiter. Dabei ist es Josef Wittmann wichtig, auf den dramatischen Rückgang der über Jahrhunderte entstandenen Sortenvielfalt aufmerksam zu machen. Deshalb begrüße er, dass lokale Initiativen und der bayerische Streuobstpakt dazu beitragen, dass Sortenvielfalt und heimische Obstkultur wieder mehr öffentliche Aufmerksamkeit erhalten. Das sichere nicht nur die Sorten, sondern halte auch unsere Kulturlandschaft lebendig.

Schwierige Zuordnung

„Auch wenn viele die Blutbirne nicht kennen, in Europa ist sie doch weit verbreitet“, sagt Josef Wittmann. „Je nach Region ist sie in Form, Farbe, Geschmack, Reifezeit und Qualität recht unterschiedlich“. Faszinierend sei aber dennoch, dass Variationen der Blutbirne oft sehr ähnlich oder sogar gleich sein können, obwohl sie 200 und mehr Kilometer entfernt voneinander kultiviert wurden. Sie einzuordnen sei aber grundsätzlich nicht ganz einfach, weil es dafür mehr als 50 offizielle Bezeichnungen und lokale Eigennamen gebe. So werde die Birne in Frankreich Sanguinole genannt, in Italien Cocomerina, die Niederländer nennen sie Granatbirne und in Deutschland ist sie unter Fleisch- oder Blutbirne bekannt.

Wie schwierig eine Zuordnung der Blutbirne sei, zeigten auch viele von Josef Wittmanns Fachgesprächen bei Obstausstellungen: „Dabei stellte sich heraus, dass wir Pomologen zwar von der gleichen Bezeichnung ausgingen, aber jeder unter diesem Namen andere Eigenschaften nannte. Selbst in der Literatur – soweit überhaupt vorhanden –  gebe es zur Einordnung der Blutbirne unterschiedliche Darstellungen. Schon ein Autor namens Bosse sprach 1830 in der „Wiener Illustrierten Garten-Zeitung“ bei der Blutbirne von Variationen und nicht Sorten. Dies zeige auch, wie viel Forschung und Recherche bei der Einordnung der Blutbirne noch notwendig sei, ist Josef Wittmann überzeugt. Eine eindeutige wissenschaftliche Klassifizierung und Benennung, wie sie der schwedische Naturwissenschaftler Carl von Linné in seinem Werk „Systema Naturae“ bei den Pflanzen vornahm, fehle bislang.

Robustes Obstgehölz

„Obwohl die Blutbirne und andere rotfleischige Birnen über viele gute Eigenschaften verfügen, sind sie allerdings nicht besonders gut lagerfähig und haben eine kurze Genussreife“, so Josef Wittmann. Das mache auch die Vermarktung schwierig. Sie eigenen sich daher am besten zum sofortigen Verzehr, als Dörr- und Kompottobst oder zur Gelee- und Marmeladenverarbeitung sowie für Edelbrände. Trotz der empfindlichen Früchte sind die meisten Gehölze der rotfleischigen Birnen robust und vertragen auch höhere Lagen. Es sei daher kein Zufall, dass die italienische Variante, die „Pera Cocomerina“ im Apennin und in der 800 Meter hoch gelegenen Kleinstadt Ville di Montecoronaro bei Verghereto in der italienischen Region Emilia Romagna häufiger kultiviert wird. Seit Anfang der 1950er-Jahre wird dort die „Wassermelonen-Birne“ wieder vermehrt angebaut und zählt zum Slow Food-Präsidium. Ihr zu Ehren veranstaltet die Ortschaft in der Provinz Forlì sogar ein jährliches Festival – das „Sagra della Pera Cocomerina“.

Gesundheitsfördernde Wirkungen

Dass rotfleischige Birnen, wie die Blutbirne vor allem auch in Italien gerade eine Art Renaissance erleben, läge auch am derzeitigen wissenschaftlichen Interesse für das Obst, vermutet Josef Wittmann. So entdeckte man in Mittelitalien zwei Ökotypen der Cocomerina-Birne, die besonders gesundheitsfördernde Eigenschaften aufwiesen. In einer Studie im Jahr 2017 nahm deshalb die Sektion Pflanzenbiologie der Universität Urbino die rotfleischigen Tafelbirnen genauer unter die Lupe. Dabei wurde u.a. der Gehalt an den Pflanzenstoffen Polyphenolen, Flavonoiden und Anthozyanen bestimmt. Nach Erkenntnissen dieses Instituts gab es dazu bislang in der Literatur keine genaueren Untersuchungen im Gegensatz zu rotfleischigen Äpfeln. Die bisherigen Ergebnisse der Forschung zeigten, dass der Saft dieser Birnen viele antioxidative und entzündungshemmende Verbindungen aufwies. Deshalb und wegen der hohen Anpassungsfähigkeit und Resistenz sei auch im Hinblick auf den Klimawandel der Anbau rotfleischiger Birnen zu fördern, lautete u.a. das Fazit der Universität. Um die Birne zudem geno- und phänotypisch genauer bestimmen zu können, untersuchte die Hochschule ähnliche Gehölze im Ausland. So bekam Josef Wittmann 2023 Besuch von einer wissenschaftlichen Delegation aus Italien, die seine Bestände an rotfleischigen Tafel- und Wirtschaftsbirnen mit den bekannten italienischen Birnen verglich.

Mit der Erforschung der rotfleischigen Birnen sei man schon einen wichtigen Schritt weiter, so Josef Wittmann. Jetzt gehe es vor allem darum, die Varianten der Blutbirne und rotfleischigen Birnen exakter systematisch zu bestimmen und Sortennamen zuzuordnen. Bis dahin werden sicher noch einige Jahre vergehen und vielleicht gibt es ja dann sogar eine rotfleischige Birne der Sorte „Oberpfalz“.

 Sie interessieren sich für Streuobst und möchten selbst aktiv werden?

Dann nutzen Sie den Streuobstpakt und das dazugehörige Förderprogramm, das über die Ämter für Ländliche Entwicklung abgewickelt wird.  Weitere Informationen und Ansprechpartner gibt es hier: https://www.ale-oberbayern.bayern.de/313657/index.php

 

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