Bis 1975 war es kein Vergehen, beim Spaziergang mal schnell einen Apfel oder ein paar Kirschen außerhalb von Privatgärten zu pflücken. Bis dahin war das Verzehren kleiner Mengen von Nahrungsmitteln „tolerierter Mundraub“. Seither gilt als Diebstahl, wer sich unabhängig vom Umfang an fremdem Obst vergreift. Übrigens gilt das auch für das Pflücken von Blumen auf öffentlichen Plätzen.
Weil im öffentlichen Raum Streuobstwiesen bzw. Obstbäume an Alleen zunehmend verschwanden, spielte Mundraub beim Obst kaum mehr eine Rolle. Durch verschiedene Initiativen und den Bayerischen Streuobstpakt entstehen wieder mehr Streuobstwiesen, die gepflegt und bewirtschaftet werden und zudem in Privatbesitz sind. Auch Andreas Kaindl, Landschaftsgärtner aus Brandloh bei Attenkirchen, ist Besitzer von Streuobstwiesen. Sie liegen etwas außerhalb der Ortschaft und sind nicht eingezäunt. Darin liege auch das Problem, meint Andreas Kaindl, denn manche Spaziergänger betrachten offene Streuobstwiesen als Einladung zur Selbstbedienung. Einige gehen auch davon aus, dass am Boden liegendes Obst oder eine ungemähte Streuobstwiese darauf hinweisen, dass diese Wiesen nicht bewirtschaftet sind. Für ihn sei es kein Thema, wenn jemand mal ein paar Äpfel oder Birnen für unterwegs aufklaubt oder pflückt. Das sei aber das geringste Problem, so Kaindl. Mancherorts würden Früchte in einer Nacht- und Nebelaktion sogar säckeweise antransportiert. Dabei würden bei besonders rabiaten Ernteaktionen nicht selten die Kronen der Obstbäume und die Wiesen Schaden nehmen. Aber im Hinblick auf den Ernteverlust habe Obstdiebstahl gravierende Folgen. Gerade in Jahren mit geringen Erträgen seien Obstdiebstähle besonders schmerzhaft, betont Andreas Kaindl. Zumal sich die Verarbeitung zu Obstbrand, wie er sie vornimmt, dann kaum mehr lohne. Der wirtschaftliche Schaden könne dadurch enorm sein.
Ernteaktion „Gelbes Band“
Doch nicht immer ist die Ernte von Obstbäumen durch Nichteigentümer illegal. Etwa wenn die Besitzer der Obstbäume, wie Privatleute oder Gemeinden, die Ernte nicht selbst nutzen wollen und die Bäume freigeben. Dies geschieht durch Hinweisschilder oder über das sogenannte „Gelbe Band“, einer Ernteaktion des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft. Damit sollen nicht genutzte Obstbäume abgeerntet und mehr Obst verwertet werden. Vor allem dient es aber dazu, um Lebensmittelverschwendung vorzubeugen. Das gelbe Band an Obstbäumen signalisiert: Hier dürfen Verbraucherinnen und Verbraucher für den Eigenbedarf kostenlos Obst ernten.
Dafür müssen die Besitzer ihre Obstbäume und -sträucher mit einem gelben Band markieren. Vorbeikommende dürfen dann Obst pflücken und am Boden liegende Früchte aufklauben. Das gilt ausschließlich für die Früchte eines gelb markierten Baumes, denn nur die sind freigegeben. Zudem gilt es mit den Obstbäumen sorgsam umzugehen, die Natur zu schützen und das Eigentum anderer zu respektieren. Auch sollte die Ernte für den Eigenbedarf maßvoll sein, also in Reichweite und vom Boden ernten und nicht etwa die große Leiter anlegen.
Obstverwertung in der Gemeinde
Wie man die Obsternte in der Gemeinde Attenkirchen im Landkreis Freising regelt, erklärt der Erste Bürgermeister Mathias Kern: „Wir ernten die Äpfel und Birnen unserer Streuobstwiesen selbst und verarbeiten sie zu Obstsaft für den Kindergarten und die Krippe im Kinderhaus Sausewind. Das wollen wir auch weiterhin so handhaben. Neben den Streuobstwiesen unterhält die Gemeinde noch Obstbaumbestände als Straßenbegleitgrün und an Parkplätzen sowie am Bockerlradweg zwischen Attenkirchen und Thalham. Für Letztere könne man sich den Einsatz des „Gelben Bandes“ sehr gut vorstellen, so Mathias Kern. Bisher habe man das Pflücken von Obst in geringen Mengen an den Wanderwegen nie verfolgt. Das „Gelbe Band“ schaffe da sicher mehr Klarheit, von welchen Bäumen man pflücken dürfe und von welchen nicht.
Abgesehen von gekennzeichneten Streuobstflächen dürfen Früchte in öffentlichen Parks und auf Grünflächen geerntet werden. Wer unsicher ist, ob ein Obstbaum auf privatem Grund steht, kann sich beim Grünflächenamt der Gemeinde oder der Unteren Naturschutzbehörde des Landkreises erkundigen. Zudem gibt es inzwischen einige Internetseiten von privaten Initiativen (z.B. mundraub.org) mit Verzeichnissen über Obstbäume, von denen kostenlos geerntet werden darf.
Wie es in der freien Natur aussieht
Das Bundesnaturschutzgesetz (§ 39 Abs. 3) sieht vor, dass „Jeder (...) wild lebende Blumen, Gräser, Farne, Moose, Flechten, Früchte, Pilze, Tee- und Heilkräuter sowie Zweige wild lebender Pflanzen aus der Natur an Stellen, die keinem Betretungsverbot unterliegen, in geringen Mengen für den persönlichen Bedarf pfleglich entnehmen und sich aneignen darf.“ Man spricht dabei auch von der sogenannten Handstraußregelung, also etwa einen Blumenstrauß, den wir mit einer Hand umfassen können. Größere Mengen sind durch die zuständige Behörde etwa die Untere Naturschutzbehörde, die Gemeinde oder die Stadt genehmigungspflichtig. Die Handstraußregelung gilt nicht in Nationalparks und in der Umgebung von Naturdenkmälern, gesperrtem Forstgelände, landwirtschaftlichen Flächen während der Nutzzeit und bei geschützten Arten.
Weitere Infos zum Thema Streuobst und zum Bayerischen Streuobstpakt gibt es hier: https://www.ale-oberbayern.bayern.de/313657/index.php
Infotafel des BMEL zum Gelben Band: „Gelbes Band - hier darf geerntet werden“ zum Download: