Zum Inhalt springen
Themenauswahl
Alle Themen
Dorfkern & Infrastruktur
Engagement & Soziales
Dorfgrün & Naherholung
Grundversorgung & Wertschöpfung
Regierungsbezirk
Alle Regierungsbezirke
Oberbayern
Niederbayern
Oberpfalz
Oberfranken
Mittelfranken
Unterfranken
Schwaben
Filtern
Wonach suchen Sie?

Zukunftstaugliches Wohnen in Kirchanschöring

Pilotprojekt Flächensparen

Modellansicht eines neuen Wohnprojekts
Neues Wohnprojekt in Hipflham/Kirchanschöring im Modell
© Gemeinde Kirchanschöring

Deutschland hat in den letzten Jahrzehnten kontinuierlich landwirtschaftliche Fläche verloren. Im Durchschnitt mehr als 50 Hektar pro Tag. Auch wenn im Vergleich zum Vorjahr ein leichter Rückgang zu verzeichnen ist, befindet sich der Flächenverlust immer noch auf einem hohen Niveau. Zumal der Verlust der Ressource Boden häufig auch Versiegelung bedeutet. Diese macht die Fläche undurchlässig für Niederschläge. Das Regenwasser versickert nicht mehr, fließt unkontrolliert oberflächlich ab und gelangt in die Kanalisation. Überflutungen und sinkender Grundwasserspiegel sind häufig die Folgen. Flächenverluste bedeuten aber auch schwindende Lebensräume für Tiere und Pflanzen, die mit Verlust der Artenvielfalt einhergehen. Die Gründe für Flächenverlust sind sehr verschieden, wobei die Inanspruchnahme durch Siedlungs- und Verkehrsfläche einen erheblichen Flächenverbrauch ausmacht. Das angesichts des zunehmenden Flächenverlusts Handlungsbedarf besteht, ist allgemeiner Konsens. Darüber hat man sich auch in Kirchanschöring im Rahmen des Konzepts „Zukunftstaugliches (Um-)Bauen und Wohnen“ Gedanken gemacht. Dabei stellten sich die Bürgerinnen und Bürger die Fragen: Wie wollen wir in Kirchanschöring in Zukunft wohnen? Tun wir dafür die richtigen Dinge und tun wir die Dinge richtig?

Das Ergebnis ist ein Gemeindeentwicklungskonzept für zukunftsfähiges (Um)-Bauen und Wohnen, das nicht nur Flächensparen zum Ziel hat. Hans-Jörg Birner, Erster Bürgermeister von Kirchanschöring, sieht das Problem des langjährigen Flächenverlusts auch in der traditionellen Bauleitplanung im ländlichen Raum und den alten Denkmustern beim Thema Wohnen. Wenn es um neue Wohnflächen ging, wollte man bisher möglichst ortsnahe Flächen bebauen. Standard waren Einfamilienhäuser und allenfalls eine Doppelhausreihe. Wenn man das überdenkt, wird schnell deutlich, dass man durch Errichten von Wohneinheiten durch gemeinschaftliches Bauen auf weniger Fläche zum Flächensparen gelangt, ist Hans-Jörg Birner überzeugt. Das Flächensparen ist für ihn allerdings nicht das Alleinentscheidende. Dabei gebe es auch noch einen sozialen und finanziellen Aspekt, der beim gemeinschaftlichen Wohnen in den Vordergrund trete. Und das habe bei vielen Bürgerinnen und Bürgern zu einem Umdenken geführt. Hans-Jörg Birner führt als Beispiel die Nutzungsphasen eines Einfamilienhauses an. Und die seien relativ kurz, wenn man bedenkt, dass nach dem Auszug der Kinder teilweise im Haus Leerstand herrscht. Trotzdem muss man sich um das Anwesen kümmern und überlegen, wie man das Haus nutzen kann. Als weitere Gründe nennt er das knappe Bauland und die hohen Baukosten. Das seien hohe Hürden nicht nur um ein Einfamilienhaus zu bauen. Besonders Alleinstehende hätten Schwierigkeiten adäquaten Wohnraum zu erwerben, so Hans-Jörg Birner. Deshalb sei man nach seiner Wahrnehmung bereit, über Alternativen beim Wohnen nachzudenken. Das Flächensparen rücke dabei eher in den Hintergrund.

Neue Zielgruppen auf Wohnungssuche

Während sich vor einigen Jahren vorwiegend junge Familien für Wohnungseigentum interessierten, ist die Nachfrage bei anderen Zielgruppen stark gestiegen. Das ist auch die Erfahrung von Hans-Jörg Birner. Zunehmend kämen bei der Gemeinde Anfragen von Senioren nach barrierefreien Wohnungen zur Miete oder als Eigentum. Viele könnten sich das als gemeinschaftliches Wohnprojekt vorstellen. Hinzu kämen häufiger alleinerziehende Interessenten oder junge Erwachsene, die gerade aus der elterlichen Wohnung ausgezogen sind. Zielgruppen, die sich in der Vergangenheit kaum gemeldet haben. Viele junge Leute könnten sich dabei eine seniorentaugliche Starterwohnung als kombiniertes Modell vorstellen, das später z.B. von den Eltern übernommen wird. Dabei hat sich herauskristallisiert, dass aufgrund unterschiedlicher Lebenslagen das Einfamilienhaus nur noch einen Teil der Vorstellungen von Wohnen ausmache. Es gebe also unterschiedliche Ansätze und Motivationen der Nutzerinnen und Nutzer.

Akzeptanz durch Aufklärung

Dass die Bauleitplanung in Kirchanschöring neben Einfamilienhäusern auch alternative Wohnkonzepte vorsieht, wird in der Bevölkerung überwiegend positiv aufgenommen. Dennoch gibt es auch kritische Stimmen, denn das vom Gemeinderat abgesegnete Pilotprojekt sieht weniger Bauland für Einfamilienhäuser vor. „Auch wenn nicht jede Nachfrage befriedigt werden kann, bietet die Gemeinde im begrenzten Umfang weiterhin Bauland für solche Häuser an“, so Hans-Jörg Birner. Familien könnten aber auch auf umliegende kleinere Ortschaften zurückgreifen, deren Satzung mehr Einfamilienhäuser vorsieht und wo Geschosswohnungsbau nicht passt. Alternativ können sie sich auf dem privaten Wohnungsmarkt umsehen, der sei allerdings stark begrenzt. „Fakt ist, dass wir mit diesem Konzept leerstehende und nur teilweise bewohnte Bestandsgebäude sanieren und einer sinnvollen Nutzung zuführen wollen.“

 Hans-Jörg Birner sieht einen wesentlichen Grund für die Zustimmung der Bevölkerung in der intensiven Aufklärungskampagne mit Vorträgen, Filmen etc. vor drei Jahren: „Darin stellten wir verschiedene Alternativen zum Einfamilienhaus vor. Viele waren überrascht von den Möglichkeiten, wie z.B. gemeinschaftlich ein Haus für mehre Generationen zu bauen oder welche Varianten es im Geschosswohnungsbau gibt.“ Dass sich die Priorität beim Wohnen geändert hat, zeige zudem eine Befragung zu dem Pilotprojekt. Der Wunsch nach einem Einfamilienhaus lag nur noch bei einem Drittel, statt wie früher bei 90 Prozent, so Birner über das Ergebnis des Rücklaufs. Inzwischen würde das Wissen über das Pilotprojekt und die Akzeptanz bei der Bevölkerung leider etwas bröckeln. Nicht nur weil die Kampagne einige Jahre zurückliege, inzwischen sei auch eine neue Generation an Bauherrn mit anderen Vorstellungen herangewachsen, vermutet Hans-Jörg Birner. Deshalb müsse man weiterhin Aufklärung betreiben, um das Bewusstsein für zukunftstaugliches (Um)-Bauen und Wohnen aktuell zu halten.

 Aus der Idee wurde Realität

„Neben dem Fachkräftemangel ist es vor allem auch der schwierige Wohnungsmarkt für verschiedene Zielgruppen, der mich als Bürgermeister schon länger beschäftigt“, so Hans-Jörg Birner. „Das Thema zukunftstaugliches (Um-)Bauen und Wohnen im Zusammenhang mit Flächensparen erschien mir daher als ein geeignetes Konzept für die Gemeinde.“ Nach einer Exkursion zu einem zukunftsweisenden Wohnprojekt in Vorarlberg, sei auch der Gemeinderat überzeugt gewesen. Die Idee wurde schließlich in einen Ortsentwicklungsplan aufgenommen und es folgten Musterplanungen für bestimmte Areale im Ort. Das Ergebnis überzeugte alle Beteiligten mit dem Entschluss, diesen Weg weiterzuverfolgen, erzählt der Bürgermeister. Das Hauptprojekt konnte dann in der Anfangsphase der Corona-Pandemie unter erschwerten Bedingungen 2021 an den Start gehen.

Doch nicht nur die Überzeugungsarbeit sei eine große Herausforderung gewesen, erinnert sich Hans-Jörg Birner. Die Idee musste in eine konkrete Bauleitplanung übergeführt und die Philosophie für das Wohnprojekt weitergetragen werden. Auch durfte man die neuen Wohnquartiere nicht zu sehr als Satelliten sehen. Sie sollten von vornherein in die bestehende bauliche und soziale Struktur des Ortskerns miteingebunden werden, etwa durch eine gute fußläufige Erreichbarkeit, Barrierefreiheit, Vorhandensein eines Radwegs oder Anbindung mit unserem regionalen Rufbus. Diese strukturellen Voraussetzungen sind insofern schon gegeben, da das Projekt in den bereits bestehenden Baugebieten umgesetzt werden konnte.

 Ganz anders im neuen Quartier auf dem Lackenbacher Feld, das sich derzeit noch in der Planung befindet. Dort müsse man die beschriebenen strukturellen Punkte genau berücksichtigen, gegebenenfalls verbessern und Defizite vermeiden, so Hans-Jörg Birner. Die Befürchtung, dass der Dorfkern ausbluten könnte, wird bei den Planungen ernstgenommen. „Da müssen wir aufpassen, dass keine Konkurrenzsituation zu den neuen Quartieren entsteht“, betont Hans-Jörg Birner. „Das sind einige wichtige Herausforderungen, die wir Zug um Zug erkennen, wenn wir uns dem Problem nähern.“

Wohnungen in Altbestand schaffen

Um dieses Wohnprojekt umsetzen zu können, wird auch nutzbarer Altbestand benötigt. Und der sei in Kirchanschöring durchaus vorhanden, so Hans-Jörg Birner. Dabei handele es sich aber größtenteils um Privatbesitz, ein Potenzial, das deshalb nur begrenzt zur Verfügung stehe. Diese Flächen würden die Ortsmitte aber auch die Quartiere beleben, wenn man sie entsprechend nutzen könnte. Ein gutes Beispiel dafür sei das Haus der Begegnung mit Seniorenwohnungen in der Ortsmitte. Dass das Pilotprojekt greift, zeigen verschiedene Baumaßnahmen. So entstehen derzeit mehrere zusätzliche Wohneinheiten durch Aufstockung von bestehenden Einfamilienhäusern – eine mittlerweile beliebte Option, um Wohnraum zu gewinnen.

Die Verfügbarkeit von Flächen, also nutzbarer Wohnbestand, wird über eine Flächenmanagement-Datenbank der Integrierten Ländlichen Entwicklung (ILE) gesteuert, erklärt Hans-Jörg Birner das System. „Die ILE ist auch eine wichtige Plattform, um uns über das Thema gemeinschaftliches Wohnen zu informieren und auszutauschen.“

Auch wenn Kirchanschöring oft als Beispiel für zukunftstaugliches Wohnen diene, gebe es in anderen Gegenden Bayerns ähnliche Projekte, wie z.B. in Tittmoning oder Fridolfing in direkter Nachbarschaft, so Hans-Jörg Birner. Er freue sich aber, wenn seine Gemeinde als gutes Beispiel diene. Viel wichtiger sei ihm aber, dass das Pilotprojekt zukunftstaugliches (Um-)Bauen und Wohnen in der Bevölkerung positiv angenommen wurde. Eine Akzeptanz, die nur durch viel Bürgerbeteiligung gelingen konnte, ist der Bürgermeister überzeugt. Deshalb habe man das Thema auch über Bürgerräte angepackt, die an der Planung des Quartiers wesentlich beteiligt waren. Bei all der positiven Resonanz verstehe er aber auch das Dilemma, dass nicht alle Kirchanschöringer in ihrer Gemeinde ein Einfamilienhaus bauen können. Hans-Jörg Birner sieht sich als Bürgermeister aber auch in der Pflicht, Wohnraum für Bürgerinnen und Bürger anderer Lebenslagen anzubieten und mit der wertvollen Ressource Fläche sorgsam umzugehen.

Um das Thema Flächensparen voranzubringen, hat die Bayerische Staatsregierung eine Flächensparoffensive ins Leben gerufen. Im Rahmen dieser findet im Juni der Monat des Flächensparens statt. Weitere Infos zu den Aktionen gibt es hier: https://www.flaechensparoffensive.bayern/

Zurück